• Autor: Franz Neumeier
  • Datum: 17. August 2009
  • Kategorie: allgemeines

Beschnittene Typo – und warum Text trotzdem lesbar bleibt

Ich gebe zu, mein ceterumcenseo-Logo ist beinahe ein Zufallsprodukt. Die Absicht war eigentlich, das Ganze im Grunge-Stil zu machen. Die Schrift WC RoughTrad Bta von WC Fonts passte dafür hervorragend und gefällt mir auch insgesamt ausnehmend gut.

Dann beschnitt ich das Logo in Photoshop versehentlich etwas zu kräftig – und das Erebnis erinnerte mich an ein recht faszinierendes Phänomen, das mir schon früher begegnet war: Schneidet man von einer Text-Zeile die untere Hälfte ab, kann man den Text fast immer trotz des Beschnitts noch lesen.

Und in der Tat ist das ein gutes Verfahren, um die Lesbarkeit von Fließtext-Schriften zu beurteilen – je leichter der Text auch von unten her beschnitten noch lesbar ist, desto besser eignet sich der Font als Grundschrift und wenn sehr kleine Schriftgrößen benötigt werden. Das trifft meist für Schriften mit relativ großen Mittellängen zu – eigentlich logisch.

Das menschliche Gehirn ist eigentlich viel zu langsam, um alle Informationen in Echtzeit zu verarbeiten. Deshalb nimmt es nur einen kleinen Teil der Informationen von den Augen und interpoliert den Rest, gespeist aus Erfahrung und Gewohnheit. Deshalb macht es oft gar keinen großen Unterschied, wenn Teile fehlen. Ist das Objekt etwas, das das Gehirn zuvor schon einmal verarbeitet hat, fügt es den Rest einfach aus de Erinnerung heraus hinzu. (Deshalb, nebenbei bemerkt, unterscheiden sich Augenzeugen-Aussagen bei der Polizei auch häufig so deutlich, obwohl keiner der Zeugen bewußt lügt. Die Leute haben nur einfach andere Wahrnehmung und Erinnerungen, so dass das Gehirn die selbe Szene unterschiedlich interpoliert und speichert.)

Und weil ich jetzt schonmal etwas abgeschweift bin und es zum Logo nicht mehr viel zu sagen gibt, noch ein spannendes Phänomen aus der selben Ecke. Auch das hat damit zu tun, wie unser Gehirn nicht vorhandene Information (oder zu viel Information, die er gar nicht so schnell erfassen kann) durch Inpolation und Erfahrung selbständig ergänzt.

Wenn ich mich recht entsinne waren es britische Forscher, die festgestellt haben, dass wir Texte auch dann relativ problemlos lesen können, wenn sie eigentlich gar keine richtigen Wörter mehr enthalten. Entscheidend ist nur, dass jeweils der erste und der letzte Buchstabe der Wörter korrekt ist. Was dazwischen steht, ist relativ beliebig und insbesondere lassen sich die Buchstaben dazwischen wild mischen, ohne dass die Lesbarkeit des Wortes zu stark abnimmt.

Beispiel: Wrteör snid acuh dann leabsr, wnen sie egiceltnih nur noch aus Buhcsatebn-Slaat bsetehen.

Unser Gehirn fasziniert mich einfach immer wieder. Und manchmal erschreckt es mich auch. Denn wenn wir ehrlich sind, haben wir eigentlich nicht viel Kontrolle darüber, dass es mit uns anstellt.

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