Datenschutz – ein Plädoyer für Offenheit

Das Datenschutz-Kind ist längst im Brunnen und ertrunken. Ein paar Features bei Google Buzz und Facebook zu deaktivieren hilft schon längst nicht mehr, unsere persönlichen Daten unter Kontrolle zu halten. Es sind doch gar nicht (nur) wir selbst, die wir unsere Daten öffentlich machen. Darüber haben wir keinerlei Kontrolle. Außer wir ziehen uns eine Papiertüte über den Kopf und setzen uns in einen abgedunkelten Kellerraum ohne Internet und Telefon.

Du sitzt in einem Cafe, jemand am Nachbartisch macht ein Foto. Am selben Tag steht das Foto bei Flickr. Zwei Tage später erkennt Dich jemand auf dem Foto, taggt Dich, und schon bist Du mit Namen und Foto, Ort und Zeit des Cafe-Aufenthalts auffindbar. Panik! Jetzt weiß der Chef, dass ich nicht gearbeitet habe. Böses Flickr ist schuld an meiner Entlassung.

So ein Quatsch! Hättest Du das alles getwittert, hätten jeder nur gefragt: „Wie kann er nur? Das geht niemanden etwas an und interessiert auch keinen.“ Und natürlich bist Du dann selbst schuld an Deiner Entlassung. Und hättest Du Deinen Chef nicht um bezahlte Arbeitszeit betrogen, hätte er erst gar keinen Grund gehabt, Dich zu entlassen.

Aber macht online/offline wirklich noch einen Unterschied?

Es ist einfach gar nicht nötig, diese Informationen aktiv zugänglich zu machen. Es passiert ganz ohne eigenes Zutun. Es sei denn, Du führst Dich in dem Cafe auf wie Prinz Papparazzi-Killer und zertrümmerst die Kamera des Fotografen. Allerdings würde dieses Ereignis garantiert von fünf iPhone-Kameras festgehalten und innerhalb von Sekunden bei Twitpic auftauchen.

Offline wird Online

myON-ID meldet mir heute einen neuen Treffer „Interview mit Franz Neumeier“. Zu meiner Überraschung ist das tatsächlich von mir, aus grauer Vorzeit. 1993. Offline. Ein Zeitungsartikel, den ich geschrieben hatte. Ein Interview mit Eisdielen-Besitzer Sergio Dondoli aus San Giminiano, Italien. Damals war Sergio ein junger Mann und machte das mit Abstand beste Eis, das ich je gegessen hatte. Ich vermute, das ist heute auch noch so, auch wenn er inzwischen ein Herr mittleren Alters geworden ist. Jetzt hat er eine eigene Website den Zeitungsartikel von damals online gestellt.

Das findet einfach statt. Dazu muss derjenige, über den Daten veröffentlicht werden, noch nicht einmal einen Internet-Zugang haben, geschweige denn Google Buzz oder Facebook nutzen. Freilich würde Internet-Abstinenz zumindest derzeit den Datenstrom noch deutlich bremsen. Aber nicht verhindern. Und in Zukunft immer weniger.

Würden Gesetze etwas daran ändern? Gegenfrage: Hat es irgend jemanden geschert, dass Musik-Tauschen bei Kazaaa oder heute über Usenet und Peer-to-Peer-Netze gegen geltendes Recht verstoßen hat und immer noch verstößt? Es passiert einfach. Wie der sonst von mir eher nicht für zitierwürdige befundene Erich Honnecker sagte: „Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs‘ noch Esel auf.“ – Ersetze „Den Sozialismus“ durch „Social Media“ und es dürfte die Realität ziemlich genau beschreiben.

Offline-Denke von Online-Dinosauriern

Als über 40-jähriger gehöre ich zu den Vor-Internetlern, zu den Dinosauriern der Online-Welt. Auch wenn ich schon mit Mailboxen, Akustik-Kopplern und Datex-J ins Internet eingestiegen bin, gehöre ich heute zu einer aussterbenden Art. Deshalb kann ich mich auch nicht vollends von dem Gedanken trennen, dass es mir lieber wäre, wir hätten die volle Kontrolle über unsere Daten. Ich wünschte, das wäre möglich.

Aber sind wir einfach ehrlich: Das ist passé. Umso wichtiger finde ich, dass wir uns damit auseinandersetzen, wie wir mit der neuen Realität umgehen – statt uns rückwärts gewandt über jedes neue, falsch gesetzte Feature-Häkchen bei Google Buzz, Facebook und Co aufzuregen. Das verstellt uns den Blick auf die Zukunft. Das macht es schwer, die neuen Realitäten mit zu beeinflussen, zu steuern.

Insgeheim habe ich die Hoffnung, dass es den Daten im Web geht wie den Daten der Stasi-Akten – total information overflow. Unbeherrschbare Daten-Massen schaffen Privatsphäre, vor lauter irrelevanter Daten fallen auch die wenigen relevanteren kaum noch auf. Aber wenn ich ehrlich bin, brennt diese Hoffnung bei mir auch nur als ein sehr kleines Flämmchen.

Ein Plädoyer für Offenheit

Zum Teufel mit dem ständigen Datenschutz-Gejammer, sobald Google ein neues Feature bringt (und unbeachtet von der breiten Öffentlichkeit hundert neue, viel schrecklichere Features bei unbekannteren Diensten mit viel laxeren Datenschutz-Vorstellungen als Google).  Lasst uns lieber darüber diskutieren, wie wir absolut berechtigte Datenschutzinteressen realistisch (= nicht zensursula-esk) unter einen Hut bringen können mit dem, was in der Online-Welt einfach passiert, ohne dass wir es verhindern können. Mitgestaltung statt nutzloser Blockadeversuche.

Erinnern wir uns an einen der Grundgedanken des Internets: Jeder trägt dazu bei, was er weiß und kann und nutzt im Gegenzug das, was andere bereitstellen. Sollten wir nicht als erstes hier ansetzen? Und Mechanismen finden, die Offenheit honorieren? Im Gegenzug Nachteile schaffen für Leute, die nur nehmen und nichts geben? Die alles kostenlos haben wollen, das auch noch anonym, die sich das Recht zu Pöbeln und Denunzieren nehmen, ohne die Verantwortung dafür zu übernehmen? Die extrem suchmaschinenoptimierten Schrott publizieren und dem qualitativ hochwertigen Content die finanzielle Grundlage entziehen? Die Spammer?

Warum also nicht auf Authenzitität, auf reale Menschen setzen? Ehrlich und nicht anonym zu dem stehen, was man tut, sagt, schreibt. Und wenn jemand nicht bereit ist, da mitzuziehen – hey, muss ich den zwangsläufig und automatisch in meinem Forum mitdiskutieren lassen? Muss ich ihm erlauben, mir bei Twitter zu folgen? Muss ich mich der Zensur bezichtigen lassen, wenn ich keine Blog-Kommentare von anonymen Usern akzeptiere oder unflätige Pöbeleien lösche? Offenheit sehe ich als Chance, nicht als Gefahr. Auch als Chance, wieder mehr soziales Verhalten in der Egomanen-Welt des Social Web zu erreichen.

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5 Kommentare zu “Datenschutz – ein Plädoyer für Offenheit”


  1. Ulrich
    on Feb 13th, 2010
    @ 14:00

    Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie die Trennlinie zwischen Offline- und Online gezogen wird. Geltendes Gesetz kennt hier keine Unterscheidung. Zum „bösen“ Social-Media: „Oh my God!“ Ich bin auf einem Bild im Flickr-Universum ;)…. Ganz nebenbei lassen demokratisch gewählte Volksvertreter Telefondaten von ihren Bürgern aufzeichnen und leiten persönliches an irgendwelche USA-Behörden weiter. Und wenn die Regierung es nicht schafft, ihre Bürger „nackt auszuziehen und herumzureichen“, übernehmen es die Unternehmen. Einfach mal das Kleingedruckte bei global agierenden Online-Bezahldiensten lesen. Ruhig beim Marktführer anfangen.
    Das Problem liegt in der Systematik. Wenn Lieschen Müller im Cafe zufällig ein Bild knippst auf dem ich mit drauf bin und auf Flickr stellt, ist das Pech für mich. Wenn aber ein Innenministerium oder Bezahl- und Suchmaschinen-Diensleister systematisch Daten von mir sammeln, um diese absichtlich für irgendwelche Zwecke zu nutzen, die sich meiner Kenntnis entziehen, ist das mehr als bedenklich.
    Wie erwähnt: Die Systematik macht den Unterschied.


  2. Franz
    on Feb 15th, 2010
    @ 11:57

    >Ich finde es immer wieder erstaunlich,
    >wie die Trennlinie zwischen Offline- und Online gezogen wird.

    Ich finde schon dass diese Trennung bis zu einem gewissen Grad gerechtfertigt ist. Wenn mir offline jemand mit einer Schwarzen Kapuze über dem Gesicht begegnet, dann weiche ich auf der Straße aus und gebe ihm garantiert nicht meine Visitenkarte. Wenn online Menschen völlig anonym auftreten, erwartet plötzlich alle Welt, dass man sich da anders verhält. Das Problem ist doch, dass ich – zumindest gefühlt – offline eine gewisse Kontrolle darüber habe, was passiert. Wenn ich in München am Marienplatz spazieren gehe, dann ist es doch ziemlich unwahrscheinlich, dass mich dabei ein „Finanzberater“ aus Nigeria beobachtet. Im Internet habe ich darauf keinen Einfluß. Insofern ist es glaube ich schon eine ganz andere Qualität, ob man über offline oder online spricht.

    Wo ich Dir absolut zustimme ist, das Zufall und Systematik einen ganz großen Unterschied macht. Oft ist aber nur schwer auseinanderzuhalten, wann die Systematik beginnt. Und wann Systematiker zufällig entstandene Daten nachträglich systematisch für sich nutzen.


  3. Ulrich
    on Feb 15th, 2010
    @ 13:21

    Wir liegen gar nicht so weit auseinander. Verläumdung ist ja auch gesetzlich verboten und kann belangt werden. In dem Plädoyer werden natürlich viele verschiedene Punkte angesprochen. Eine allgemeines Grundlagenproblem, das sich für mich herauskristalliert ist die Globalisierung, mit deren Herausforderung Politiker meiner Meinung nach nicht schritthalten – Stichwort: Der von dir beschriebene “Finanzberater aus Nigeria“. Diese Hürde gilt es zu nehmen. Im „schlimmsten Fall“ wird ein Rückschritt in national abgesteckte Datennetzgrenzen stattfinden, vielleicht erinnert sich noch der eine oder andere an BTX. Identifizierung über den Telefonanschluss. Wer dann Informationen einstellen will, beantragt eine Lizenz bei einer Online-Behörde. Fertig ist der Schuhkarton. Internationale Angebote können natürlich von jeden abgerufen werden, nachdem diese einen staatlichen Prüderie- und Unbedenklichkeitesfilter durchlaufen haben. Vermutlich würde ein Großteil der Bevölkerung eine solche Lösung sogar begrüßen.


  4. Franz
    on Feb 15th, 2010
    @ 13:33

    … was dann genau das Gegenteil der Offenheit wäre, die ich mir wünsche. In einer idealen Welt wäre alles ganz einfach: Jeder tritt im Web unter seiner echten Identität auf. Das würde Verantwortung für das Getane und Geschriebene fördern, Pöbeleien und Schlimmeres reduzieren und insgesamt der Offline-Welt näher kommen. Leider ist die Welt nicht ideal, so dass ich aus Rücksicht auf viele, die auf Anonymität angewiesen sind, diese Forderung nicht wirklich aufstellen will. Die Anonymität, die Regimekritikern im Iran das Leben retten, läßt sich halt leider auch mißbrauchen, so dass wir uns mit der Realität arrangieren müssen. Und da sind wir uns absolut einig: Mit Gesetzen und Vorschriften, die zum Ziel haben, etwas im Netz zu verbieten, erreichen wir dieses Ziel nicht. Wohl aber mit einer Offenheit und Diskussionskultur, die keine Säue durchs Dorf treibt, sondern verantwortungsvoll mit dem Thema Datenschutz umgeht; verantwortungsvoll vor allem in Hinblick auf die Individualität und Freiheit jedes Einzelnen, ohne Prinzipienreiterei zu betreiben; verantwortungsvoll bei der Differenzierung von Interessen: Nur damit kommerzielle Anbieter wie G. und F. noch mehr Daten sammeln und in bare Münze umwandeln können, sollte der Persönlichkeitsschutz nicht preisgegeben werden. Für das generelle Funktionieren des Web und die Entstehung neuer Kommunikationsformen dagegen bin ich viel eher zu Kompromissen bereit. Wie Du am Anfang geschrieben hast: Es kommt auf die Systematik an. Und ich will ergänzen: Es kommt auf die Motivation an. Persönlichkeitsschutz den kommerziellen Interessen einzelner zu opfern ist indiskutabel.


  5. Ulrich
    on Feb 16th, 2010
    @ 13:58

    Völlige Zustimmung. Das Modell der Offenheit und Diskussionkultur setzt allerdings auch die Bereitschaft der gewählten Politiker voraus, diese zuzulassen und entsprechend den Ergebnissen zu handeln – Stichwort mehr Basisdemokratie. Etwas, das hierzulande – in meinen Augen – nicht im großen Ausmaß zu erkennen ist. Stattdessen gewinne ich eher den Eindruck, dass in Politikerkreisen die Meinung herrscht, das Volk vor sich selber schützen zu müssen. Was bleibt also noch?

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